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Von der Schesaplana zum Piz Buin
Der zwanzigjährige Nemuel Feuerle ist mit seiner Heimat Vorarlberg (Österreich) wie kein Zweiter verbunden. Die Berge und Täler im "Ländle" bieten dem jungen Alpinisten alles, was er braucht. Er sucht seine Herausforderungen nicht tausende Kilometer weg, sondern direkt vor der eigenen Haustüre.
Unser Skinfit Athlet Nemuel Feuerle startet als passionierter Trailrunner und Alpinist ein einmaliges Projekt
Die Kirchlispitzen oberhalb des Lünersees gehören schon lange zu Nemuels Lieblingsregion, in der er viel Zeit mit dem Klettern von Mehrseillängenrouten verbringt. Dort kam ihn nach einem Kletternachmittag am Fels mit anschließender Gratüberschreitung auch die Idee für sein Projekt: Eine Non-Stop Überschreitung des gesamten Bergkamms von der Schesaplana, der Königin im Rätikon bis hin zum höchsten Berg Vorarlbergs, dem Piz Buin, innerhalb von 24 Stunden.
Gemeinsam zum Erfolg
Als Kletterer und Alpinist reizte Nemuel neben den reinen Streckenkilometern auch so viele Gipfel wie möglich zu überschreiten. Ein anspruchsvoller Traillauf in alpinem Gelände und unzählige Höhenmeter gepaart mit vielen Kletterpassagen im 3er und 4er Grad warteten auf den Abenteurer. Aus einer spontanen Idee wurde so in kürzester Zeit ein echtes Teamprojekt.
Nemuel wurde bei seinem Projekt von seinem Kameraden Benedikt Hartmann, einem erfahrenen Ultraläufer begleitet. Dieser hat ihn nicht nur, wie ursprünglich geplant, bei den schwierigen Kletterpassagen gesichert, sondern gleich über die gesamte Wegstrecke unterstützt. Benedikt war von Beginn an von Nemuels Idee begeistert und war sofort bei der Planung dabei. Am Ende des Tages sollten Nemuel und Benedikt ca. 85 km und rund 10.000 Höhenmeter auf ihren Uhren stehen haben.
Die Vorbereitungen
Streckenplanung | Mit Hilfe einiger erfahrener Trailläufer und Kletterer aus seinem Umkreis hat Nemuel die gesamte Strecke im Vorfeld metergenau besichtigt und geplant. Immer wieder hat er sich gewissenhaft kleine Teilabschnitte angesehen, verschiedene Routenmöglichkeiten probiert und auch versucht, sich an das Laufen mit Gepäck und Kletterausrüstung zu gewöhnen.
Nemuel hat den Routenverlauf entlang der österreichisch-schweizerischen Grenze bewusst in Richtung Südosten gewählt, um als Ziel den höchsten Berg Vorarlbergs zu haben. Dies bedeutete aber auch, dass der anspruchsvollere bzw. alpinere Teil der Route erst auf der zweiten Wegstrecke zu erwarten war. Die besondere Herausforderung des Projekts lag somit darin, nicht nur körperlich höchste Performance abzuliefern sondern vor allem auch nach halber Wegstrecke noch mental fit und hochkonzentriert zu sein. Für Nemuel, den Extremsportler ist es besonders wichtig, dass er zwar einen genauen Plan hat, aber auch auf sein Bauchgefühl hören kann und vor allem im alpinen Gelände auf Gegebenheiten reagiert und auch spontane Anpassungen zulässt.
Packliste | Neben der präzisen Streckenplanung ist die Wahl der richtigen Bekleidung bzw. des mitzunehmenden Materials eine zentrale Entscheidung. Nemuel und Benedikt wollten keine Depots oder anderen Support nutzen. Das heißt eine möglichst leichte Ausrüstung, schnell trocknende Wechselbekleidung, Ernährung, Stöcke, Helm, eine vereinfachte Kletterausrüstung zur Sicherung und Klettergurt müssen auf der gesamten Strecke in einem kleinen Rucksack (20 l) bei sich getragen werden.
Packliste von Nemuel Feurle:
- Beschreibung (.pdf)
- Bild (.jpeg)
Der richtige Zeitpunkt
Das Wetter | Für das Gelingen der Gratüberschreitung ist auch das Wetter ausschlaggebend. So warteten die beiden einige Wochen startbereit und hoch motiviert auf den richtigen Zeitpunkt. Nach zwei bis drei trockenen Spätsommertagen konnten die beiden Extremsportler endlich ein Schönwetter-Fenster nutzen und mit ihrem Projekt starten.
Die Tageszeit | Bei dieser langen und vor allem anspruchsvollen Bergtour spielt die Tageszeit ebenfalls eine wichtige Rolle. Beim Traillauf sollte Nemuel eine kleine Stirnlampe helfen, den richtigen Weg zu nehmen. Die schwierigsten Kletterpassagen erfordern jedoch Tageslicht. Daher war die Wahl des Startzeitpunktes für Nemuel und seinen Partner Benedikt ganz entscheidend. Ein Start um die Mittagszeit erschien letzten Endes am sinnvollsten. Zusätzlich hofften die beiden, in der bevorstehenden Vollmondnacht sicher den Weg durch die Dunkelheit zu finden.
Die Überschreitung
Bis das Licht ausgeht I Freitag Mittag um 13:00 Uhr war es soweit. Nemuel und Benedikt starteten ihr Projekt bei der Talstation Lünersee im Brandnertal. Nach einem stetig bergauf führenden Trail zum Lünersee, konnten sie die ersten drei großen Gipfel wie geplant bei Tageslicht problemlos bewältigen. Schneller als erwartet überstiegen sie die Schesaplana, den gesamten Grat der vier Kirchlispitzen und pünktlich zum Sonnenuntergang erreichten sie die Drusenfluh. Das gab ihnen viel Antrieb und Motivation für die anstehende Nacht. Hoch oben am Gipfel gönnten sie sich eine erste längere Verpflegungspause. Ein atemberaubendes Panorama und das warme Licht der letzten Sonnenstrahlen begleiteten die beiden Athleten anschließend in die anbrechende Nacht und in die vorerst letzten Kletterpassagen an der Sulzfluh.
Die Dunkelheit | Nemuel und Benedikt gewöhnten sich nach und nach an die Dunkelheit und fühlten sich gut gerüstet für den anstehenden 45 Kilometer langen Traillauf. Das Laufen über Stock und Stein im alpinen Gelände ist extrem fordernd und war auch für Nemuel in dieser Dimension eine ganz neue Erfahrung. In dieser wolkenlosen Nacht erhellten zumindest unzählige Sterne und der Vollmond die Umgebung. Um die notwendige Konzentration aufrecht zu erhalten und vor allem der aufkommenden Müdigkeit entgegen zu wirken, wechselten sich Nemuel und Benedikt stetig in der Führung ab. So folgte Nemuel einmal den Fersen seines Partners und dann wieder seinem eigenen Weg.
Mit jedem Kilometer mehr zog sich die Strecke in die Länge und die Nacht schien eine Ewigkeit zu dauern. Voll fokussiert blieb jedoch kaum Raum für Gedankenspiele und Kommunikation zwischen den beiden. Wie ein Uhrwerk spulten sie die Kilometer ab, bis es wenig später plötzlich wieder hell am Horizont wurde.
Der Tag bricht an | Mit Sonnenaufgang tauchten die nächsten großen Gipfel vor den beiden auf, das Groß Seehorn und der Groß Litzner. Nach teils zähem, stundenlangen Laufen in der Dunkelheit kam mit Tagesanbruch trotz fortschreitender Erschöpfung wieder neue Energie in ihre müden Körper. Nun warteten die anspruchsvollsten Gipfel mit über 3000 m Seehöhe darauf, überwunden zu werden. Nemuel und Benedikt nahmen das Groß Seehorn entgegen der gewöhnlichen Laufrichtung in Angriff. Das heißt, Passagen, die sie im Vorfeld durch Abseilen kennengelernt hatten, wurden nun zur Kletter-Herausforderung am Seil. Während sie hier auf ihre Erfahrung zurückgreifen und sich gegenseitig extrem gut unterstützen konnten, kamen beim zweiten Aufstieg zum Groß Litzner unerwartete Probleme hinzu. Einige entgegenkommende Seilschaften erschwerten die Route, die Nemuel und Benedikt freikletternd bewältigten. Der kräftezehrende Ab- und Wiederaufstieg nahm mehr Zeit in Anspruch als gedacht und so standen sie erst zur Mittagszeit hoch oben am Gipfel auf 3109 m ü.d.M.. Gezeichnet von den Strapazen der letzten 20 Stunden blickten sie vom Groß Litzner hinüber zum Piz Buin, ihrem geplanten Ziel. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits über 65 Kilometer Traillauf in den Beinen und über 7000 Höhenmeter erklommen.
Die Planänderung
Der Respekt | „Ein Alpinist ist nur dann ein guter und vor allem gesunder Alpinist, wenn er sein Risiko richtig und gewissenhaft einschätzt.“ Diese Worte gingen Nemuel am Gipfel des Groß Litzners durch den Kopf. Sollten sie es wagen, trotz großer Erschöpfung und mit minimalistischer Ausrüstung (sehr leichte Steigeisen und Rebschnur) auf einen Gletscher zu gehen, der möglicherweise unter der fortschreitenden Sonneneinstrahlung Spalten freigibt? Sollten sie ihr großes Ziel weiter verfolgen und somit ein unberechenbares Risiko eingehen? Benedikt und Nemuel sind beide ehrgeizig und top fit, waren hoch motiviert und gut vorbereitet aber sie haben auch Respekt vor den Bergen und ihren eigenen Gesetzen. Zu keinem Zeitpunkt der Route haben weder Nemuel noch Benedikt ans Aufgeben gedacht. Sie haben es genossen, neue Erfahrungen zu machen und an ihre persönlichen Grenzen zu kommen. Doch ein unnötiges Risiko eingehen, das wollten und mussten sie nicht. Sie entschieden gemeinsam den Piz Buin aus der Ferne zu betrachten und den sicheren Abstieg zum Silvrettastausee zu wählen. Nach 23 Stunden höchster Konzentration und Anstrengung aber auch Genuss und Leidenschaft ließen die beiden Freunde ihrem Projekt ein Open End.