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Faszination Eisklettern
Was im Sommer ein naturgewaltiger Wasserfall ist, erstart im Winter zum perfekten Klettergebiet für alle diejenigen, die ihre Leidenschaft im Eisklettern finden. Es entsteht eine unglaubliche Vielfalt an Routen, die nur wenige Wochen im Jahr, manchmal sogar nur einen einzigen Tag existent ist. Zwei Vorarlberger Alpinisten erzählen über die Faszination Eisklettern.
Die Königsdisziplin im Alpinismus
Johannes und Ulrich, zwei junge Vorarlberger Alpinisten, zieht es fast täglich nach draußen in die Natur. Im Sommer gehen sie viel und gerne an den Fels, sie klettern seit kleinauf, auch in höheren Lagen und dieses Freiheitsgefühl, diese Faszination der steilen Wände wollen sie auch im Winter spüren. Doch gerade in ihren heimischen Bergen, im Alpenraum, sind die Winter meist kalt und nass, was das Felsklettern erheblich erschwert oder sogar teils unmöglich macht.
Steigeisen, Eisgeräte und Heizsocken
Wenn es die Bedingungen erlauben, endlich loszulegen, dann schleifen Johannes und Ulrich ihre Steigeisen und Eisgeräte, so nennt man die Pickel, welche sie zum Klettern verwenden, laden die Akkus ihrer Heizsocken und machen sich auf den Weg. Immer wieder stellt sich ihnen am Standplatz die selbe Frage: Warum eigentlich? Eiskletterer „hängen“ zumeist den ganzen Tag im Schatten, an den kältesten Orten, oftmals fernab der Zivilisation. Sie haben kalte Finger und nicht selten regnet es das Wasser des Eisfalls oder das ständig schmelzende Eis stundenlang auf ihren Kopf.
Die Anziehungskraft von Eisfällen
Aber diese Frage löst sich in Windeseile wieder in Luft auf und kennt für jeden Eiskletterer nur eine Antwort. Sie tun es, weil Wasserfälle einfach Sommer wie Winter etwas Faszinierendes sind, eine unbändige Anziehungskraft haben und ihr Gesicht ständig ändern. Ein und der gleiche Wasserfall kann im Sommer ein trostloses Rinnsal in einer weiten Berglandschaft sein und gleichermaßen im Frühjahr oder Herbst zu einem tosenden Sturzfall werden, der allen Alpinisten und Wanderern die Urgewalt der Natur vor Augen führt. Die meiste Faszination jedoch üben Wasserfälle für Johannes und Ulrich im Winter aus. Wenn das turbulente Wasser zur Ruhe kommt und sogenannte Eisfälle Kletterern und denen, die es im Winter noch werden wollen, ein einzigartiges Abenteuer in der Vertikalen ermöglichen.
"Der Reiz des Eiskletterns liegt insbesondere darin,
Linien im Winter zu klettern, welche im Sommer gar nicht vorhanden
bzw. nicht kletterbar sind."
Eisfälle sehen, im Gegensatz zu Felswänden, jedes Jahr, oft sogar während einer Saison, völlig unterschiedlich aus und bieten so eine weitaus größere Vielzahl an möglichen Kletterrouten. Die Magie an gefrorenem Wasser empor zu klettern ist ein schwer zu beschreibendes Gefühl, es ist eine direkte Auseinandersetzung mit der Natur und zieht sowohl Sportler als auch Beobachter völlig in ihren Bann.
Eis ist ständig in Bewegung und birgt Gefahren
Nur, wo ist das Eis? Wo findest man ideale Eisfälle? Diese Frage stellt sich Johannes im besten Fall schon im Spätherbst, wenn er gemeinsam mit Ulrich die Wasserfälle beobachtet und Wettervorhersagen studiert. Eisklettern ist kein leicht planbarer Sport. Ob und wie ein Eisfall geklettert werden kann, ist von vielen Faktoren wie u.a. Temperatur, Exposition, Feuchtigkeit, Wind, Lawinengefahr und Temperaturschwankungen abhängig.
Eis ist entgegen der allgemeinen Meinung nicht statisch, sondern ständig in Bewegung, die durch Temperaturschwankungen oder Sonneneinstrahlung erzeugt wird.
Bei aller Begeisterung, Motivation und Faszination ist es besonders wichtig, die objektiven Gefahren abzuschätzen. Unfälle können, wie überall im Leben, jederzeit passieren, doch einen Kilobrocken Eis aus 20 Meter Höhe auf den Kopf zu bekommen, will man tunlichst vermeiden. Eisklettern kann gefährlich sein. Autofahren auch. Es geht darum, sich der Gefahren bewusst zu sein und wenn nötig auch mal umzudrehen und eine Tour abzubrechen. Gerade in Zeiten klimatischer Veränderungen, bestes Beispiel ist der aktuelle Winter, ist erhöhte Vorsicht absolut gefragt. Hohe Temperaturschwankungen machen das Eis instabil und können große Eisabbrüche zur Folge haben.
Bei all dem Risiko, den intensiven Vorbereitungen und der ungewissen Berechenbarkeit ist der Bergsport in all seinen Facetten, darunter auch das Eisklettern, für Alpinisten wie Johannes und Ulrich das beste Mittel zum Abschalten, zum Nachdenken und Energie tanken. Sie „fliehen“ gerne in die Berge und suchen dort ihre ganz persönliche Herausforderung im Eisklettern. Es ist ein wunderschöner, intensiver Sport, an den man sich langsam herantasten sollte. Die ersten Male werden noch ungewohnt sein. Der erste Vorstieg im Eis ist etwas ganz Besonderes und für deine Performance verlässt du des Öfteren deine Komfortzone. Dafür bekommst du die Faszination Eisklettern hautnah zu spüren.