fino alla
Allein am Aconcagua
Das Verlangen nach einem großen Abenteuer hat den leidenschaftlichen Läufer und Skinfit Athleten Thomas Summer nach Argentinien verschlagen. Dort hat er den höchsten Berg Amerikas, den Aconcagua auf 6961 Höhenmetern als Ziel auserkoren. Doch die Besteigung des mächtigen Riesen war ihm nicht genug – er machte sich auf die Jagd nach dem Rekord, der seit 2015 nicht mehr unterboten wurde. Wie es ihm dabei ergangen ist und was er im Alleingang dort alles erlebt hat, erzählt er euch hier.
Thomas: Sie lassen mich nicht laufen?! Ich kann es nicht glauben. Was soll ich jetzt machen? Ich stehe am Eingang zum Aconcagua Nationalpark und zwei Park Ranger geben mir zu verstehen, dass sie mich, vor der offiziellen Öffnungszeit, nicht hineinlassen dürfen. Es ist 5 Uhr morgens. Ich schreie, aber ich wache doch nicht auf aus diesem lächerlichen Albtraum. Mein Spanisch ist nicht ausreichend für eine sinnlose Diskussion und ich will mich nicht mit der offiziellen Behörde der Parkverwaltung anlegen. Also beschließe ich ins Hotel zu fahren, um dann um 8 Uhr wieder zu kommen. So ein später Start kostet mich meinen Sicherheitspuffer. Noch mehr Druck und noch weniger Spielraum für meine Unternehmung. Morgen soll das Wetter schlecht werden. Ich muss den heutigen Tag nutzen.
7:45 Uhr - Es ist bereits hell und in der Sonne warm. Eine Rangerin redet auf mich ein. Ich verstehe nur, dass ich nun endlich loslaufen darf. 8:00 Uhr - Ich aktiviere mein Satellitentelefon. Ich starte die Stoppuhr. Ich laufe los. Mein Atem wird schneller, meine Gedanken langsamer. In den Atemzügen suche ich nach dem Rhythmus. Mein Herzschlag beginnt meinen Beinen zu folgen und nicht mehr meinen Sorgen. Bald lasse ich das kurze Stück auf der Asphaltstraße hinter mir und laufe auf dem Bergpfad weiter. Vor mir erhebt sich in der Ferne majestätisch der Gipfel. Schroffer Fels und steile Eisflanken. Was wird mich dort oben, fast 4000m über mir, erwarten? Vor einer Woche war ich noch froh selbständig von dort absteigen zu können. Und nun laufe ich wieder zurück. Ich habe mich von dem schweren Durchfall weitestgehend erholt. Der Berg ruft. Und ich suche doch nur mich selbst.
Zügig erreiche ich die wüstenähnliche Hochebene. Obwohl ich mich schon über 3500m befinde ist es hier, jetzt am Vormittag, bereits drückend warm. Im sandigen Boden suche ich mir, zwischen dem Geröll, meinen Weg. Wo die Mulis den Untergrund festgetreten haben, finde ich mit meinen Laufschuhen besseren Halt. Vereinzelt überhole ich kleine Expeditionsgruppen. Eine Stunde vor dem Basislager beginnt das Gelände deutlich steiler zu werden. Ich muss ins Gehen wechseln, um die Intensität nicht zu hoch werden zu lassen. Mit den Händen drücke ich mich auf den Oberschenkeln ab, konzentriere mich auf meine Atmung. Meine Füße wirbeln den Sand in die trockene Luft. Immer wieder hebe ich den Blick und sehe vor mir die rote Fahne näherkommen. Ich erreiche das Basislager und husche in das Essenszelt, in dem meine Sachen bereits vorbereitet sind. Ich wechsle auf die leichten Bergschuhe. Davor ziehe ich mir dicke Socken und die warme Überhose an, streife eine zusätzliche Primaloftjacke über. Im Rucksack verstaue ich die Steigeisen und einige Energiegels. Die kleinen Trinkflaschen stecke ich unter die Jacke, damit sie nah am Körper sind und so nicht gefrieren können. Zum Schluss greife ich nach den dicken Fäustlingen und den Stöcken.
Als ich das Zelt verlasse bemerke ich den Neuschnee, der den Berg weiter oben in ein weißes Kleid hüllt. Hinter mir wird das Basislager kleiner. Jeder Atemzug geschieht bewusst, damit ich so viel Sauerstoff wie möglich aus der dünnen Luft saugen kann. Über die steile Flanke schlängelt sich der Weg im Zickzack nach oben. Das lose Geröll ist mit Schnee bedeckt. Auch hier überhole ich einige andere Bergsteiger. Schweigend grüßen mich nur erstaunte Blicke. In dem Neuschnee ausreichend Halt zu finden kostet mich zusätzliche Energie. Doch ich spüre noch Kraft in meinen Beinen, kann meinen Atem kontrollieren. Ein erstes Hochlager lasse ich zu meiner Rechten hinter mir. Etwa eine Stunde später erreiche ich, auf 5500m, das Zweite Hochlager. Hier musste ich vor einer Woche, nach einer Nacht mit fürchterlichem Durchfall, absteigen und meine Akklimatisierung beenden. Ich betrachte, im Vorbeigehen, die Zelte. Heute kreist kein Condor über mir.
Als der Schnee immer mehr wird, beschließe ich die Steigeisen zu montieren. In der gebückten Haltung fällt das Atmen noch schwerer. Jeder Handgriff ist anstrengend und erfordert Konzentration. Ohne auf meine GPS-Uhr zu schauen, weiß ich, dass ich schon auf über 6000m Seehöhe bin. Ich spüre auch, dass ich immer langsamer werde. Irgendetwas stimmt nicht. Mit immer schwererem Schritt erreiche ich die Querung auf etwa 6400m. Das etwas flachere Gelände erlaubt mir meinen Schritt leicht zu beschleunigen. Doch meine Beine scheinen mir nicht mehr richtig zu gehorchen. Nach der Querung wird es abermals steil. Im groben Geröll strauchle ich nach jedem Schritt. Ich rutsche zurück, muss aufpassen nicht den Halt zu verlieren. Immer wieder. Mein Kopf ist klar, aber mein Körper gehört mir nicht mehr. Alles schwankt. Ein Schritt. Ich rutsche. Finde mich auf allen Vieren. Kann mich halten. Schaffe es irgendwie, in dem steilen Gelände, wieder auf die Beine. So versuche ich vorwärts zu kommen. Soll ich umdrehen?
Das Wetter ist gut. Das nächste Mal bleibe ich auf Händen und Knien. Ich hole Luft, starre auf den Schnee vor mir. Soll ich umkehren? Mir ist warm. Ich habe kein Kopfweh. Ich bin langsam, aber ich weiß, dass ich bergab viel schneller sein werde. Noch bleibt mir genug Zeit für den Aufstieg und Tageslicht für die Rückkehr. Ich krabble weiter.Ich bin allein mit diesem riesigen Berg. Ich habe keine Angst. Ich spüre, dass er mir nichts tun wird. Plötzlich ist der Anstieg zu Ende. Mit großer Anstrengung richte ich mich auf. Es geht nicht mehr weiter. Wenige Meter vor mir sehe ich das kleine Eisenkreuz. Unter mir treibt der Wind die Wolken vorbei. Meine Beine zittern. Die Sonne steht bereits tief und färbt die Wolken am Horizont in abendliche Farben. Ich stehe vor dem kleinen Kreuz, am höchsten Punkt von Amerika. Ganz allein.
Mein Körper gehört nicht mehr zu mir. Aber er muss mich tragen. Ich muss wieder hinunter! Müdigkeit ist in meinem Kopf. Entfernt spüre ich die Erschöpfung in meinem Körper. Im Westen sollte man das Meer sehen. Wo ist Westen? Sehe ich die Erdkrümmung? Mir ist warm. Am liebsten würde ich lange hierbleiben und dem Spiel der Wolken im Abendlicht zusehen. Ich fotografiere mich mit dem kleinen Kreuz. Plötzlich treibt mich etwas an und ich verlasse fluchtartig den Gipfel. Kein Blick zurück. Kein Blick mehr in die Ferne.
Ich folge meinen Spuren zum Durchstieg in die Flanke. Dort wird es wieder steil. Im losen Geröll suchen meine Füße nach Halt. Noch gehorchen mir meine Beine nicht ganz, aber instinktiv finden sie einen Weg, rutschen über feines Geröll und Schnee, finden Halt auf größeren Felsen. Immer wieder taste ich mich zu meiner Linken an der Felswand abwärts, halte mich fest. Fast so als würde ich das Gestein, mit den dicken Fäustlingen, streicheln. Unter mir sehe ich das Tal langsam im Schatten dunkler werden. Ich fühle mich sicher, obwohl ich das Gefühl habe, als ob es nicht ich bin der hier bergab hetzt. Ich sehe die große Schneeflanke näherkommen. Darüber die Querung, in der der Weg zum Sattel führt. Dort kann ich abkürzen. Für einige Meter folge ich dem ausgetretenen Pfad in die Querung. Ich darf nicht zu weit links einsteigen. Dann biege ich hinunter in die Flanke ab. Ein riesiges Geröllfeld öffnet sich unter mir. Jetzt ist es mit Neuschnee bedeckt. Der Schnee ist zu tief als, dass ich auf meinen Füßen darauf hinuntergleiten könnte. Also setze ich mich einfach hin und rodle auf dem Hosenboden den steilen Hang hinunter.
Der tiefe Schnee, vermischt sich mit feinem Geröll und bremst meinen Fall. Ich schiebe kleine Schneebretter vor mir her. Immer wieder muss ich das Gesäß anheben, wenn sich zu viel von dieser zähen Masse angesammelt hat. Dieses Bergabrutschen ist zwar etwas mühsam, aber ich kann damit meine wackeligen Beine schonen. Und ich reduziere schnell Höhenmeter. Die Luft wird wieder dichter. Mehr Sauerstoff für meinen müden Körper, der nun langsam aufzuwachen beginnt. Links neben mir steht die Sonne bereits tief. Weit unter mir breitet sich das Tal aus. Darüber eine Wolkenbank, hinter welcher die Sonne untergeht. Eine riesige leuchtende Scheibe, die die Wolken blutrot färbt. Ich schaue in dieses Rot und rodle weiter bergab, geborgen in dieser Einsamkeit und unendlichen Weite.
Ich darf nicht zu weit nach links kommen. Dort ist vor einigen Wochen ein französischer Bergsteiger von einem Felssturz erschlagen worden. Schräg nach rechts liegt, hinter einem Felsaufbau, das Hochlager wo ich wieder auf den Normalweg treffen sollte. Allmählich beginnt das Gelände etwas flacher zu werden und auch der Schnee wird immer weniger. Im Aufstehen bemerke ich, dass die Sonne nun am Horizont ganz verschwunden ist. Bevor ich die ersten Laufschritte mache, nehme ich die kleine Stirnlampe aus meinem Rucksack. Ich muss den Pfad erreichen, bevor es ganz dunkel ist. Nun ist wieder mehr Sauerstoff und Kraft in meinen Beinen. Im Laufschritt springe ich über die Felsen, rutsche über den Schnee. Der Schein meiner Stirnlampe beginnt sich in der dunklen Flanke immer mehr abzuzeichnen. Wo bin ich?
Kann ich dort rechts vor mir schwache Lichter ausmachen? Das müssen die Zelte sein. Im Lichtkegel erkenne ich Spuren, einen schmalen Weg. Wenig später laufe ich zwischen den schwach beleuchteten Zelten hindurch. Lautlos und unbemerkt. Bis zum Basislager sind es noch über tausend Höhenmeter. Ich kenne das Gelände. Während der Akklimatisation bin ich hier oft auf- und abgestiegen. Ich nehme die direkte Linie über die Schuttfläche. In dem losen Geröll gerade hinunter ist wie Skifahren. Eingehüllt in eine Staubwolke und das Geräusch der Lawine aus Steinen und Sand, schieße ich talwärts, wie in Trance und mein Blickfeld auf wenige Meter reduziert, hinein in die Nacht. Plötzlich wird das Gelände steil. Wo bin ich?
Hätte ich nicht nach links queren müssen? Ich bin zu weit gerade hinunter. Komme ich hier weiter? Über feuchte Platten klettere ich abwärts. Das Wasser sammelt sich zu einem kleinen Bach, der über die Felsen in die Dunkelheit stürzt. An seinem Rand klettere ich ab. Durch die dicken Fäustlinge kann ich die Griffe nur erahnen. Ich weiß wo ich bin, aber nicht ob ich unter mir weiter komme. Was, wenn ich auf eine Felswand zusteuere? Dann muss ich wieder weit hinaufklettern und oben queren. Das Gelände neigt sich wieder etwas zurück und die Felsplatten wechselnd zu losem Geröll. Es ist tief. Der ganze Hang rutscht mit mir hinunter. Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten und rodle am Hosenboden, in der zähen Masse, etwa 200m hinunter. Oder waren es 300m? Noch einmal schießt das Adrenalin durch meinen Körper, bevor ich, mit unbeschreiblicher Erleichterung, in der Senke, den kleinen Bach erreiche und schließlich zum Stillstand komme.
Der Bach führt mich direkt zum Basislager. Tief hat er sich in das Gestein hineingegraben, sodass die großen Zelte erst im letzten Moment sichtbar werden. Ich bin in Placa de Mulas angekommen. Ich schwitze. Mir ist heiß. Ich habe unglaublichen Durst und Kopfweh. Aber ich fühle mich gut. Ich habe den Weg zurück in meinen Körper gefunden und laufe den tanzenden Lichtern entgegen, die auf mich zusteuern. Unter den ersten zwei Lampen erkenne ich die Gesichter von zwei Bergführern. Wie es mir geht? Gut! In kurzen Sätzen erzähle ich was ich am Berg erlebt habe. Es sprudelt richtig aus mir heraus. Wie aufgedreht laufe ich zu dem großen Zelt, wo mich meine Eltern erwarten. Die Erleichterung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Und auch die Müdigkeit des langen Wartens. Ich entledige mich der dicken Fäustlinge und der warmen Jacke. Die Primaloftüberhose ist komplett zerfetzt. Ob ich zu einem Arzt will? Nein. Ich will weiter. Ich will mein Projekt zu Ende bringen.
Kurz herrscht besorgtes Schweigen. Dann zustimmende Worte. Die Chefin des Basislagers gibt mir ihr Funkgerät. Damit soll ich unten, am Parkeingang, funken, dass man mich von dort abholen kann. Ich entledige mich der Bergschuhe und schlüpfe, mit dünnen, trockenen Socken, zurück in meine leichten Laufschuhe. Aus einer großen Flasche schütte ich kaltes Wasser in meinen ausgetrockneten Körper. Ich spüre keinen Hunger, stopfe nur ein paar Gels in meinen Rucksack. Dazu Ersatzbatterien und eine zweite Stirnlampe. Zuletzt fülle ich noch die Trinkblase. Meine zerfetzte Hose wird erstaunt und erschrocken herumgereicht. Spanische Sätze fliegen durcheinander. Wieso sind auf einmal so viele Leute hier? Viele kenne ich nicht. Ich will wieder hinaus in die Nacht. Bevor ich es mir anders überlege. Die Luft ist klar, aber es dauert einige Minuten, ehe sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Über der Bergkette, rechts von mir, geht der Mond unter, während ich das Basislager hinter mir lasse. Das Stimmengewirr hallt in meinem Kopf nach, bevor mich wieder Stille umhüllt. Gestärkt von den Umarmungen spüre ich Ruhe und Zuversicht.
Meine ganze Welt beschränkt sich nun nur noch darauf, in der Geborgenheit der Nacht, diesen Weg zu Ende zu gehen. Kein Bedürfnis nach Laufen. In dem steilen Abhang nach dem Basislager ist es leicht dem Weg zu folgen, welchen die Mulis und Bergsteiger, in das Geröll getreten haben. Danach muss ich, auf dem flacheren Hang, immer wieder die Richtung korrigieren und mir meinen eigenen Weg zwischen den Felsblöcken suchen. Im Geiste ziehe ich die Linie des Weges, so wie ich ihn kenne, durch die Nacht. Über einige Wellen hinunter in die große Hochebene. Dort muss ich gleich zu Beginn den Fluss überqueren. Wie viel Schmelzwasser, nun in der Nacht, dort wohl auf mich warten wird? Kontinuierlich geht es bergab und plötzlich bin ich am Wasser. Ein breiter, aber flacher Strohm der sich talauswärts zieht. Ich darf ihn nicht überqueren. Muss ihm, zu seiner Linken, folgen. Dort wo der Hang zu steil ist, zwingt mich das Gelände immer wieder auf kleine Inseln im Wasser auszuweichen. Wo ist der große Stein? So stolpere ich, zwischen dem steilen Ufer und dem dunklen Nass, hin und her. Bei größeren Sprüngen schießt ein stechender Schmerzt durch meinen Kopf und erinnert mich daran aus welcher Höhe ich gerade komme.
Ich zwinge mich zu trinken, obwohl es mich schon, seit kurz nachdem ich das Basislager verlassen habe, davor ekelt. Die Nacht ist warm und ich spüre die Funktionskleidung auf meiner Haut. Mein ganzer Körper juckt, als ob Millionen kleiner Ameisen darauf herum krabbeln würden. Im Schein meiner Stirnlampe sehe ich nur Wasser und Geröll. Ich genieße diesen Zustand, in dem ich nur auf den gegenwärtigen Moment konzentriert bin, fühle mich sicher und geborgen auf meinem Weg. Als ich den Fluss hinter mir lasse wird es ruhig. Die weite Hochebene reduziert sich auf wenige Meter. Im Licht der Lampe beobachte ich das Spiel der Staubkörner, während ich schnellen Schrittes den Spuren der Mulis folge. Sollte ich laufen? Ein Blick auf meine Uhr zeigt mir, dass ich nicht gerade schnell unterwegs bin. Der Stoppuhr ist schon seit dem Basislager die Batterie ausgegangen. Ich spare mir das Laufen für einen anderen Tag auf. Der Geist eines verschollenen Bergsteigers soll sich hier herumtreiben. Ob er sich für mich interessiert?
Ich bin selbst ein Geist. Ob ich wach bin, oder träume spielt keine Rolle. Nur die Bewegung existiert. Wie gerne würde ich ganz darin aufgehen und alles für immer hinter mir lassen. Doch ist diese Bewegung anders als die hoch oben am Berg. Dort bin ich voll konzentriert. Hier bin ich fast schlafwandlerisch unterwegs. In dieser Bewegung handle ich instinktiv. Ich habe das Gefühl, dass mir nichts passieren kann. Auch wenn ich weiß, dass mich die Gefahr immer begleitet. Meine Geister. Der Tod, der sich nicht ankündigt. In der Anspannung zählt das dann nicht. Die Geister sind nur stille Beobachter. In der Exponiertheit gibt es nur ein Hier und Jetzt. In dieser selbstgewählten Beschränkung liegt alle Freiheit der Berge. Je mehr sich meine Welt in diesen Momenten verkleinert, desto freier bin ich. Desto tiefer dringe ich zu meinem Grund. Erkenne ich diesen Grund im Unterwegssein, oder nur wenn ich stehen bleibe? Ich will nicht stehen bleiben. Immer in diesem Fluss weiter durch eine unendliche Landschaft ziehen. Jetzt, hier im Gehen, in dieser Weite, ist etwas abgefallen von mir. Etwas das Platz für Neues schafft. Zurückkommen erzeugt immer auch Verantwortung. Verantwortung die im Zurückkommen noch leicht ist. Sie lastet erst im Stehenbleiben schwer. Vor allem jedoch im Wiederaufbrechen. Weil ich wieder aufbrechen muss. Wieder dorthin zurück. Vielleicht treffe ich dann einmal einen Geist?
Und ich stapfe über das Geröll. In der Nacht. Und ich bin im Zurückkommen leicht. Tief in der Schlucht finde ich die kleine Brücke. Dann arbeite ich mich, mit den Händen auf meine Oberschenkel gestützt, den steilen Gegenanstieg hinauf. Das Stechen in meinem Kopf, kann die Leichtigkeit nicht vertreiben. Unbemerkt passiere ich Confluencia, das kleine Zwischenlager. Ohne Lichter erkenne ich nur die Umrisse der Zelte. Nun ist es nicht mehr weit. Das Rauschen des Flusses wird wieder deutlicher, als ich, zu seiner Linken, dem schmalen Weg, in kleinen Wellen auf und ab, folge. Die große Hängebrücke führt mich nach Tibet. Dort wo die Weite noch größer ist. Wo die Berge noch mystischer sind. Wo der gläserne Horizont mich erwarten wird. Plötzlich vier helle Punkte in der Nacht. Ich erkenne zwei Augenpaare, die den Schein meiner Stirnlampe aus der Dunkelheit reflektieren. Mein Schritt wird langsamer. Wir blicken uns an. Wir sind nur unterwegs. Alle sind wir wie Geister. „Kalipe“, wünsche ich den vorbeiziehenden Schatten als sie nach Links hinunter zum Fluss abbiegen.
„Thomas calling Penitentes!“ „Thomas calling Penitentes!” Es dauert einige Minuten bis sich im Rauschen des Funkgerätes eine Stimme meldet. Eine verschlafene, aber erleichterte Julieta sagt mir, dass sie schon auf meinen Funkspruch gewartet hat und mich am Gate zum Nationalpark erwarten wird. Nach der Lagune erreiche ich die Asphaltstraße. Der harte Untergrund führt mich wieder zurück in die Wirklichkeit. Plötzlich sehne ich mich nach einer warmen Dusche, einem großen Steak. Stehenbleiben. Ich muss die Leichtigkeit verlassen. Ich muss mich ausruhen, um dann wieder aufbrechen zu können. Glücklich, traurig, müde, einsam, geborgen, durstig und stinkend gehe ich den Scheinwerfern entgegen.