TORTOUR ULTRACYCLING – in zwei Tagen mit dem Rennrad um die Schweiz

Das weltweit größte Non-stop Radrennen rund um die Schweiz erfordert nicht nur körperliche Fitness auf höchstem Niveau sondern auch Leidenschaft, mentale Stärke sowie einen unbändigen Kampfwillen und Teamgeist.

13 juillet 2023
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#skinfitcrew Member Josien Vergroesen ist die Tortour – DAS Nonstop-Ultracycling Event rund um die Schweiz mit 1.040 km, 13.000 Höhenmetern und einem Zeitlimit von 52 Stunden – gefahren. Die gebürtige Niederländerin sucht stetig nach neuen Abenteuern und ist immer zu einer Herausforderung bereit. Die TORTOUR klang für sie nach einer ganz besonderen! Um das Rennen zu schaffen und mehr als zwei Tage im Rennradsattel zu sitzen, brauchte sie nicht nur eine extrem gute körperliche Verfassung. Sie musste immer wieder ihren inneren Schweinehund überwinden, mehrfach ans Limit gehen und in jeder Situation an einer positiven Einstellung festhalten.
Wir haben mit Josien gesprochen und uns ihre Erfahrungen von der Tortour schildern lassen:

Josien, wie kommt man auf diese „verrückte“ Idee, Ultracycling Rennen zu fahren?

Josien: Während vieler Bikepacking-Reisen in den Jahren 2020 und 2021 entdeckte ich die Liebe zu (sehr) langen Radtouren. Manchmal waren diese Ausfahrten entspannter und beinhalteten viele Stopps, um lokale Cafés zu besuchen und mit Einheimischen in Kontakt zu kommen. Andere Male waren die Touren eher hart, durch abgelegene Gegenden, ohne viel Kontakt zu anderen Menschen.  Bikepacking ist ein ähnliches Abenteuer wie die Tortour. Viel langsamer aber man leidet genauso. Die mentalen Herausforderungen, die technischen Probleme am Rad, die unterwegs gelöst werden müssen und viele aufeinanderfolgende Stunden und Tage des Radfahrens tragen alle zum Gesamterlebnis bei. Mit dem Bikepacking wuchs meine Passion für das Radfahren immer mehr. Nach einem privaten Rückschlag wurden die langen Kilometer auf dem Rad mein Moment des Trostes, der es mir ermöglichte, Frieden und Klarheit im Kopf zu finden. Radfahren ist für mich gleichbedeutend mit Glück. Die Idee, an einem Ultrarennen teilzunehmen, kam dann ganz spontan auf. Der erste Vorgeschmack auf Ultrarennen war ein selbstunterstütztes 1.000-Kilometer-Rennen in Portugal, bei dem ich als beste Frau ins Ziel kam. Diese Erfahrung machte unheimlich Lust auf mehr und als ich von der Tortourhörte, wollte ich sofort teilnehmen. Ich lebte zum damaligen Zeitpunkt noch in der Schweiz und musste es einfach ausprobieren!

Was genau unterscheidet die Tortour von deinen bisherigen Radrennen?

Josien: Die Tortour ist ein sogenanntes unterstütztes Ultracycling. Im Vergleich zu dem Rennen in Portugal erfordert es für jeden Teilnehmer ein eigenes Begleitfahrzeug mit einer Supportmannschaft. Es ist also auch eine Art Teamrennen. Die Menschen, die mich während meiner Tortour begleiteten, waren einfach unglaublich und haben den größten Anteil daran, dass ich es geschafft habe. Mein Lebenspartner, mein Bruder, ein Arbeitskollege meiner besten Studienfreundin und ein erfahrener Ultra-Cycling-Kameramann unterstützten und motivierten mich alle auf ihre ganz eigene Art. Sie haben mich während des gesamten Trainings und Rennens immer ermutigt und mit mir an das Projekt geglaubt. Wir hatten soviel Spaß zusammen und nun Erinnerungen, die für ewig bleiben. Die Organisation drumherum ist mit so vielen Beteiligten natürlich weitaus aufwendiger und am Ende sind viel mehr Leute involviert, als nur ein einzelner Radfahrer. Für mich als Fahrerin macht es natürlich vor allem während des Rennens einen großen Unterschied. Wenn ich komplett supportet bin, muss ich eigentlich nur essen, trinken und in die Pedale treten, bis ich die Ziellinie erreiche.

„Nur“ essen, trinken und in die Pedale treten klingt nicht gerade nach einer „Tortur“ oder?

Josien: So einfach war es tatsächlich nicht. Obwohl der Sommer 2022 wunderschön war, entpuppte sich das Rennwochenende als das schlechteste Wochenende des Jahres. Es regnete vom Start weg in Strömen und in den ersten 30 Stunden des Rennens nahezu ununterbrochen. Der anhaltende Regen war eine ziemliche Herausforderungen, vor allem in den nächtlichen Pass-Abfahrten. Bei einem Ultracycling Rennen über mehr als 2 Tage steht man sehr oft vor unvorhersehbaren Situationen. Nicht alles lässt sich vorher im Training simulieren, geschweige denn vorstellen, dass es so kommt.

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Was waren deine größten Herausforderungen während der Tortour?

Josien: Das ist ganz leicht: Der Sonnenaufgang, das Essen während der Nacht und das Finden des richtigen Tempos.

Es klingt etwas komisch aber ich hatte wirklich mit dem Sonnenaufgang zu kämpfen. Wenn die Nacht herein bricht und die Sonne untergeht, fühle ich mich in der Regel wie neugeboren. Ich habe entdeckt, dass ich in den friedlichen Nacht-Stunden sehr gern Rad fahre. Fahren während des Sonnenaufgangs hingegen fühlt sich immer sehr schwer an. Es war während des Rennens auch die kälteste Zeit des Tages und nach der nächtlichen Euphorie setzte am Morgen die Müdigkeit ein. Im Tagesverlauf wurde es wieder besser aber ich musste lernen, mich durchzubeißen. Ebenso herausfordernd war für mich das Essen während der Nacht. Ich hatte das im Vorfeld nicht geübt und die ersten Stunden nach dem Start (wir starteten abends um 19Uhr) erwiesen sich als echt schwierig. Ich hatte Probleme, meine Herzfrequenz zu kontrollieren. Vor lauter Aufregung fuhr ich das erste Teilstück viel zu schnell und die Anstrengung hinderte mich daran, mich ausreichend zu ernähren. Außerdem fühlte ich mich in den Nachtstunden immer hungrig.

Die richtige Tempowahl war von Beginn an schwierig. Schließlich bin ich zuvor noch nie 48 Stunden am Stück gefahren und hatte absolut keine Ahnung, wie lange meine Energie reichen würde. Die vielen Höhenmeter machten es auch unmöglich, vorherzusagen, wie schnell ich wirklich fahren musste, um das Zeitlimit von 52 Stunden zu schaffen. Diese Zahl hatte ich immer im Hinterkopf. Nach 650 Kilometern hatte ich einen Tiefpunkt erreicht und wurde unsicher, ob ich es rechtzeitig ins Ziel schaffen würde. Da machte sich das erste Mal die Frustration breit. Nach einer aufmunternden Ansprache des Teams beschloss ich dann aber ein bisschen Risiko einzugehen und so lange zu pushen, bis ich vielleicht irgendwann „den Mann mit dem Hammer treffe“. So trat ich nochmals richtig rein und erhöhte meine Durchschnittsgeschwindigkeit wieder. Das Ziel fest vor Augen konnte ich die letzten 300km sogar einen Schnitt von über 30km/h fahren. Mit späterer Morgenstunde des zweiten Tages begann die Sonne zu scheinen und ich fühlte mich wieder frisch und voller Energie. Der erwartete Einbruch kam zum Glück nie und ich „rollte“ mit meinem positiven Hochgefühl bis zur Ziellinie.

Wie hast du dich auf die Tortour vorbereitet?

Josien: Ich habe ungefähr 2,5 Monate für die spezifische Vorbereitung genutzt und unzählige Stunden auf dem Fahrrad verbracht. Die Schweiz und Vorarlberg bieten ideale Trainingsbedingungen. Die Herausforderung bestand vor allem darin, die richtige Balance zwischen Be- und Entlastung zu finden. Trainiere ich zu wenig, fehlt mir am Ende vielleicht die Fitness für so ein Non-stop Rennen. Mache ich zu viel, kommt die Gefahr von Übertraining oder Verletzungen. Die Notwendigkeit aber auch mein Wunsch, das Training mit einem Vollzeitjob und meiner Beziehung zu vereinbaren, erhöhte die Komplexität des Ganzen zusätzlich. Zum Glück konnte ich mit meiner Rad-Begeisterung mein Umfeld gleichermaßen anstecken und so hatte ich oft Begleitung während meiner vielen Radausfahrten. Für die Tortour habe ich sogar einen professionellen Trainingsplan in Anspruch genommen. Dieser umfasste verschiedene Elemente von Grundlagen- und Kraftausdauertraining, die nach und nach an Intensität zunahmen.

Josiens Trainingsplan für die Tortour

  • Montag
    Ruhetag
  • Dienstag
    Intensives Training (VO2-max Training), zumeist bestehend aus Drei-Minuten-Bergintervallen
  • Mittwoch
    Sehr ruhige, regenerative 1.5-stündige Ausfahrt
  • Donnerstag
    Krafttraining am Rad. D.h. Fahrten mit niedriger Trifffrequenz und schwerer Übersetzung
  • Freitag
    2 – 3-stündige Ausfahrten im Grundlagenbereich
  • Samstag
    Lange Ausfahrt bis zu 12 Stunden im unteren Grundlagenbereich, gelegentlich aufgeteilt in 2 Blöcke
  • Sonntag
    Lange, weniger anspruchsvolle Fahrt mit Schwerpunkt auf Bergauffahrten, mit müden Beinen aus dem Vortag

Meistens trainierte ich dann 20 – 35 Stunden pro Woche, fuhr entsprechend 500 – 750 Kilometer und 10.000 Höhenmeter. Das wichtigste in der Vorbereitung für ein Ultracycling ist das ruhige Grundlagentraining. Leider musste ich so den ganzen Sommer über auf zu intensive Radrennen verzichten, obwohl ich Wettkämpfe sehr gern bestreite und den Renncharakter bei großen Events mag. Nur ein einziges Mal durfte ich im Vorfeld der Tortour bei einem Event voll in die Pedale treten.

Was braucht man alles für ein Ultracycling?

Josien: Am Tag X musste ich natürlich fit und gesund sein. Das Training hatte ich in den Beinen und nun galt es für mich und mein Team, die perfekten Rahmenbedingungen zu schaffen. Drei essenzielle Dinge musste ich dabei beachten: Mein Material, meine Bekleidung und meine Ernährung. Wenn es um das Packen für ein Ultra-Rennen geht, ist es wichtig, die spezifischen Anforderungen (Streckenprofil, Wettervorhersage, Zeitplan) zu berücksichtigen. Die Tortour führt über viele Bergpässe. Zwischendurch gibt es aber auch immer wieder lange Flachstücke. Deshalb entschied ich mich, je nach Streckenabschnitt zwischen Rennrad und Zeitfahrrad zu wechseln. Beide Räder brachte ich zuvor in einen einwandfreien Zustand und auch die Kiste mit Ersatzmaterial war ausreichend bestückt. Ich hatte im Training verschiedene Riegel und Gels ausprobiert und mit Hilfe einer professionellen Ernährungsberatung Lebensmittel gefunden, die mir schnell Energie bringen aber unter Belastung auch gut verträglich sind. So hatte ich neben spezifischer Sportnahrung auch Brot, Nüsse, Nudeln, Müsli, Obst und Energygetränke vorbereitet.

Bei ständig wechselnden Wetterbedingungen spielt die richtige Bekleidung eine entscheidende Rolle. Wenn der Körper aufgrund falscher oder fehlender Bekleidung einmal ausgekühlt oder überhitzt ist, ist es fast nicht möglich die Tortour zu beenden. Meine persönliche Ultracycling Packliste durfte im Vergleich zu "self-supported" Rennen, bei denen ich alles am Fahrrad transportieren muss, etwas länger sein. Durch das persönliche Begleitfahrzeug konnte ich mich so für alle Eventualitäten wappnen.

Josiens Ultracycling Bekleidung

  • 2x Tri Pants für das Fahren mit dem Zeitfahrrad
  • 2x Radhosen 
  • 3x Radtrikots
  • 1x Langarmtrikot
  • 3x Unterhemden
  • 1x Winterjacke
  • 1x Windjacke
  • 1x Windweste
  • 1x Regenjacke
  • 1x gefütterte Jacke
  • 1x Hardshelljacke
  • 1x kurze Regenhose

 

  • 1x lange Regenhose
  • 1x dünne Ärmlinge
  • 1x warme Ärmlinge
  • 1x Beinlinge
  • 5x Socken
  • 1x Rad-Überschuhe
  • 1x Toe Cover
  • 1x Rad-Handschuhe
  • 1x Handschuhe
  • 1x Sturmschal
  • 1x Stirnband
  • 1x warme Mütze

Angesichts der schwierigen Wetterbedingungen 2022 mit viel Regen und teils kühlen Temperaturen habe ich während des Rennens tatsächlich die gesamte Kleidung getragen. Irgendwann war alles durchnässt und mein Supportteam hat letzten Endes die Sitzheizung im Auto zum Trocknen der Trikots genutzt. Improvisation und super schnell trocknende Funktionsbekleidung war in dem Fall mein Schlüssel zum Erfolg.

Was ist dein Fazit der Tortour 2022?

Josien: Alles in allem hätte ich mir dieses Abenteuer nicht besser vorstellen können. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Allein am ersten Tag legten wir 580 Kilometer mit über 8.000 Höhenmetern zurück. Es folgte für mich eine knappe Stunde Schlaf auf dem Rücksitz des Autos und dann waren es nochmals 460 Kilometern mit weiteren 5000 Höhenmetern bis zur Ziellinie. Nach 48 Stunden im Sattel war das Gefühl des Erfolgs unbeschreiblich. Ich wusste nicht, dass man binnen nur zwei Tage so viele Gefühlslagen durchleben kann. Vom absoluten Hochgefühl bis hin zur totalen Frustration war alles dabei. Dieses Erlebnis motiviert mich sehr. Ich nehme aus der Tortour so viele Erkenntnisse mit. Diese möchte ich bei weiteren Ultra-Rennen unbedingt nutzen. Radfahren ist meine absolute Leidenschaft und ich bin allen sehr dankbar, die zu diesem fantastischen Projekt beigetragen haben!

Tipps, damit dein Ultracycling zum Erfolg wird.

  • Sorge immer dafür, dass das Training Spaß macht: Um das Beste aus den Trainingseinheiten zu machen, solltest du auch mal alternative Wege finden, um sie zum Spaß zu machen! Plane mit diversen online Plattformen deine langen Touren auf neuen Strecken. Folge einfach dem GPS und lass dich ständig von neuen Wegen und Anstiegen überraschen. Nutze auch den Besuch bei weiter entfernt wohnenden Freunden als Anlass, um beispielsweise mal von der Schweiz nach Heidelberg zu fahren.

  • Das Team zählt! Finde dein perfektes Support-Team, um das Beste aus dir raus zu holen. Ein Team, das an deine Ziele glaubt und dir positive Energie gibt, kann dich unheimlich pushen. Es sollten Personen sein, die dich gut kennen, dir nahe stehen und/oder Erfahrungen mit Ultracycling oder ähnlichen 24h bzw. Non-stop Events haben.

  • Lege besonderen Wert auf deine Ernährung. Das, was du während des Radrennens zu dir nimmst, entscheidet über Sieg oder Niederlage. Die ausreichende Versorgung mit Energie und Flüssigkeit ist für die Aufrechterhaltung deiner Leistung bei Ultracycling Rennen unerlässlich. Damit dein Magen nicht rebelliert oder du „leer“ gehst, kann dir eine individuelle Ernährungsberatung sehr gut helfen.

  • Vergiss nicht dein Material. Dein Rad (oder auch zwei Räder) braucht genauso besondere Aufmerksamkeit wie deine Bekleidung. Auf den mechanischen Zustand deines Rades musst du dich 100% verlassen können. Achte auf die richtige Übersetzung und Bereifung. Ebenso solltest du trotz Supportteam das 1x1 der schnellen Fahrradwerkstatt beherrschen. Die große Bedeutung deiner Bekleidung lernst du nicht erst bei schwierigen Wetterbedingungen kennen.

Dein perfektes Radoutfit