Es fehlen noch für den
Yvonne van Vlerken über ihre Karriere und was jetzt noch kommt
Einer der erfolgreichsten Langdistanz Triathletinnen der letzten Jahre verabschiedet sich von der großen Bühne und taucht gleichzeitig am Streckenrand wieder auf. Yvonne van Vlerken hat mehr Medaillen und Pokale im Schrank als andere Unterhosen. Sie hat Weltrekorde aufgestellt, Titel gewonnen und bittere Niederlagen erlebnt. Uns verbinden 15 Jahre Partnerschaft mit der sympatischen Niederländerin. Im Interview erzählt uns Yvonne, wie ihr "neues" Leben aussieht, warum sie nun doch Coach geworden ist und welche Ziele sie noch im Leben hat.
Mein Bauch hat (fast) immer Recht
Vor gut 1,5 Jahren hast du deine sportliche Karriere als Profitriathletin beendet und nun bist du bereits eine gefragte Trainerin. Fiel es dir leicht, die Seiten zu wechseln?
Ja, ehrlich gesagt schon. Ich habe viele Jahre mit meiner Trainerin Siri Lindley zusammen gearbeitet und sie hat schon seit langem ein super funktionierendes Coaching in den USA. Sie hatte ein paar Anfragen aus Europa und meinte, mit meinem Background und meiner Persönlichkeit wäre ich genial für das Coaching und ihr Team. So hatte ich quasi schon am Ende meiner Karriere gleich ein Jobangebot.
Die Selbstständigkeit nach der sportlichen Karriere ist eine große Herausforderung. Wie hast du die so schnell gemeistert?
Das Team Sirius ist ja hauptsächlich in den USA und ich habe das „Team Sirius Europe“ hier bei uns aufgebaut. Mit Siri war das genial. Ich konnte so alle Strukturen und das bestehende System nutzen und es einfach auf mich „übersetzen“. Gerade in den technischen und geschäftlichen Abläufen hilft das sehr, nicht ganz von Neuem anfangen zu müssen. Ich habe so ein richtiges Rückgrat und kümmere mich im Grunde „nur“ um das reine Coaching für meine Athleten. Besser geht es für mich ja nicht.
Das heißt, du bist Teil eines ganzen Teams?
Ja genau. Einerseits gehören mein Mann Per, selbst erfolgreicher Triathlonprofi, und Natascha Daniels zum Team Sirius Europe. Natascha habe ich selbst ausgebildet und sie kennt sich brutal mit Ernährung und den medizinischen Sachen aus. Andererseits arbeiten wir alle gemeinsam mit dem Team Sirius in den USA mit ehemaligen Athletinnen und Triathlon Experten wie Melanie Mitchell, Rebecca Keat und natürlich Siri Lindley zusammen. Wir sind mittlerweile neun Coaches und haben einen ständigen Austausch, geben Erfahrungen weiter und helfen uns gegenseitig. Jede hat ihre Schwächen und Stärken und wir lernen viel voneinander. Schließlich kenne ich die meisten Mädels ja alle sehr gut aus meiner aktiven Triathlonzeit. Beispielsweise war Rebecca Keat immer eine meiner Lieblingskonkurrenten und wir haben so viele spannende Rennen zusammen bestritten. Es ist wirklich toll, nicht allein zu arbeiten sondern Kollegen zu haben wie in einem „normalen Job“. Trotzdem gebe ich meinem Team Sirius Europe natürlich meinen eigenen „Yvonne Touch“.
Yvonnes Erfolge
53 Siege bei internationalen Challenge und Ironman Veranstaltungen über die Halb- und Langdistanz
18 Ironman Siege
17 Langdistanzen unter 9 Stunden
2 Weltbestleistungen über die Halb- und Ironmandistanz
1 ITU Duathlon Weltmeistertitel
Diesen „Touch“ kennen wir ja schon von dir als Sportlerin. Egal ob „Pink Lady“ oder „Vonsy Einhorn Glitzer“. Ist das „Auffallen“ auch ein Erfolgsfaktor für die Beliebtheit deines Coachings?
Ich bin einfach ICH und so kennen mich die Leute. Ich bin ein bisschen verrückt nach Einhörnern, Pink und dem ganzen Mädchenzeug. Die Leute wollen irgendwo auch diese Persönlichkeit. Mein Coaching basiert extrem auf Vertrauen und persönlichem Kontakt. Daher müssen die Athleten auch zu mir passen oder besser gesagt, ich zu ihnen. Es ist eigentlich Wahnsinn. Bereits nach gut zwei Jahren sind wir mit über 35 Athleten ausgebucht.
Wolltest du denn schon immer nach der eigenen Karriere Triathlon Trainerin werden?
Nie, ganz im Gegenteil. Das machen ja alle und ich will ja immer ein bisschen anders sein. Da habe ich immer gesagt, das werde ich niemals machen.
Warum hast du den Job dann angenommen?
Ich habe schon mit 17 Jahren die Ausbildung zur Sportmasseurin und Sportlehrerin gemacht. Von Fußball über Kanufahren bis Turnen darf ich alles unterrichten und damit hat es auch angefangen. Viele Jahre habe ich von 13 bis 19 Uhr täglich Kindern zwischen 3 und 16 Jahren Turnunterricht gegeben. Zusätzlich noch Aerobic, Fitness und Tanz. Einfach alles. Später hatte ich immer den Traum von einer eigenen Sportschule mit Massagestudio in Holland. Eine spezifische Triathlonausbildung habe ich zwar nicht aber durch meine anderen Ausbildungen kenne ich die Physiologie und habe natürlich meine eigenen Erfahrungen. Triathlon ist meine Heimat und da fühle ich mich einfach am Wohlsten. Da habe ich einfach das Gefühl, alles richtig durchschaut zu haben. Zusammen mit meinem Mann Per haben wir einmal ein kleines Trainingscamp mit Freunden auf Lanzarote gemacht. Wir waren gleich mit 20 Personen ausgebucht und dort habe ich das erste Mal gespürt, dass mir das Coachen richtig Spaß macht. Zudem haben mich am Ende meiner Karriere sehr viele Leute angesprochen, ob ich auch ins Coaching einsteige und das sie bei mir trainieren wollten und zeitgleich war ich zu der Zeit echt erschrocken, wie viele ohne irgendeine Ausbildung oder ein Studium Coach werden. Man braucht doch zumindest ein paar wissenschaftliche Grundlagen. Und die habe ich. Also kam das Angebot vom Team Sirius dann gerade zur richtigen Zeit und sie hat mich dann auch überzeugt, das zu machen.
Du bist sehr erfolgreich ins Trainergeschäft eingestiegen. Warum trainierst du nicht auch deinen Mann Per?
Das hat er mich auch schon gefragt! Per und ich haben drei Jahre lang gemeinsam bei Siri Lindley trainiert und dort die Philosophie so gelebt, wie wir beim Team Sirius trainieren und auch er seine Athleten jetzt trainiert. Es wäre mir einfach zu viel. Ich möchte nicht die Verantwortung für ihn übernehmen. Und außerdem trainiere ich keine Männer mehr. Ich organisiere schon ein bisschen mit und schaue auch mal genauer hin aber Per hat einen sehr guten Trainer und das passt für mich.
Du sprichst es schon an und beim Blick auf deine Athleten fällt der hohe Anteil von Frauen auch auf. Siehst du dich als bessere Frauentrainerin?
Ja. Da fühle ich mich brutal sicher und weiß einfach genau, was sie machen müssen. Bei Männern ist das anders. Ich habe zu Mädels den besseren Draht und es fällt mir leichter, Mädels zu trainieren. Da kann ich meine eigenen Erfahrungen doch besser einbringen. Zudem habe ich mich schon zu aktiven Zeiten sehr mit dem Thema weibliche Hormone und Leistungsfähigkeit auseinander gesetzt. Das ist ein unglaublich spannendes und wichtiges Thema im Leistungssport. Aber auch Breitensportlerinnen können davon profitieren, wenn sie richtig auf ihren Körper hören und vor allem wenn ich als Trainerin auf ihren Zyklus und die Hormone eingehe.
Du hast vor nicht allzu langer Zeit auch einige Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. Erklärt das auch deine große Nachfrage unter Frauen?
Natürlich, das merkt man schon. Ich war absolut die erste, die das Thema weiblicher Zyklus und Triathlon 2019 angestoßen hat. Mittlerweile bin ich sehr froh, dass sich auch andere junge Profitriathletinnen dem Thema annehmen und mit ihrer großen Reichweite andere Frauen und Trainer inspirieren können. Ich denke, es kommt alles ein wenig zusammen. Mit unserem Design, der Teamkleidung usw. sprechen wir natürlich mehr Frauen an. Aber natürlich trainieren wir auch viele Männer. Ich habe jetzt schon den Luxus, mir meine Athleten aussuchen zu können und so übernimmt größtenteils Per die Männer und sie müssen auch nicht immer pinke Kleidung tragen :).
Was macht dich so beliebt?
Da müsst ihr wohl eher meine Athleten fragen! Ich würde mich als eine offene und brutal ehrliche Person bezeichnen, die gerne und viel kommuniziert. Zum Glück spreche ich drei Sprachen (deutsch, englisch und niederländisch) und kann so Sportler aus verschiedenen Regionen betreuen. Das kommt gut an. Viele kennen mich seit 1999 als loyale und ehrgeizige Sportlerin, die über Jahre hinweg mit festen Sponsoringpartnern gearbeitet hat. Das schafft Beständigkeit und Vertrauen. Auch habe ich mir nie etwas zu Schulden kommen lassen. Keine Disqualifikation, keine Zeitstrafen, nix. Ich war und bin das nette lustige Mädchen von nebenan.
Wo siehst du deine Stärken als Coach und wo liegt vielleicht noch Potenzial für dich selbst?
Meine absolute Schwäche als Coach sind Verletzungen. Da kann ich wenig auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen. Als Athletin war ich zum Glück so gut wie nie wirklich lange verletzt. Daher hole ich mir gerne Tipps von meinen Kolleginnen. Es ist nicht ganz leicht, das Training im richtigen Maße an eine Verletzung anzupassen. Ich denke zum Coachen gehört mehr, als nur einen Trainingsplan zu schreiben. Ich vertraue immer auch auf mein Bauchgefühl und das gibt mir meistens Recht. Zudem ist auch die persönliche Trainingsbetreuung wichtig und ich organisiere ca. alle 2 Monate ein gemeinsames Trainingswochenende in Holland oder woanders bei meinen Mädels. Das funktioniert spitze.Wir fahren auch gemeinsam zu großen Wettkämpfen. Beispielsweise war ich mit 15 Athleten beim Challenge Rennen in St. Pölten. Dort betreue ich sie mehr oder weniger rund um die Uhr.
Als Profitriathletin hattest du einen geregelten, geplanten Tagesablauf. Wie sieht dein neuer Alltag nun aus?
Ich liebe die neue Freiheit aber ich bin auch brutal autistisch. Ich brauch das Geregelte und bin überhaupt nicht flexibel. Wenn irgendwelche Dinge geändert werden, ergibt das immer gleich Stress für mich. Ich brauche grundsätzlich keinen Wecker mehr. Aber meine Tage sind eigentlich immer gleich. Das ist mir auch weiterhin wichtig. Der Morgen ist meine Zeit. Da telefoniere ich nicht und mache meine Lauftrainings oder spiele mit meinen Kätzchen. Mein Arbeitstag fängt dann erst um 12 Uhr mittags an. Da heißt es dann Büroarbeit und natürlich viele persönliche Telefonate mit meinen Schützlingen. Das geht meistens bis 21 oder 22Uhr. Meine Athleten sind fast alle berufstätig und so muss ich mich an ihre „Freizeit“ anpassen.
Du trainierst nicht nur Breitensportler sondern du hast auch einige Profis. Was liegt dir mehr?
Es ist mir grundsätzlich egal aber es fällt mir leichter, mit Profis zu arbeiten. Da habe ich einfach ein super Gefühl und natürlich einen großen Bezug dazu, da ich ja selbst in dem Bereich unterwegs war. Aber auch viele meiner Athleten sind keine Profis und super viel beschäftigt. Da kommt es immer darauf an, das Training richtig zu dosieren und an die jeweilige Arbeitswoche anzupassen. Daher ist da die Kommunikation noch viel entscheidender und der Trainingsplan viel individueller.
Als Coach bist du bei vielen Rennen am Streckenrand dabei. Kribbelt es noch, selbst zu starten?
Ehrlich gesagt nein. Ich bin selbst ein bisschen überrascht, wie schnell und einfach der Wechsel ging. Ich habe mir mit dem Triathlon einen Lebenstraum erfüllt und bin nun total zufrieden mit dem, wie es ist.
Und wie sieht es mit schlaflosen Nächten und Aufregung vor dem Start aus? Alles vorbei?
Ach was: Furchtbar! Es ist viel schlimmer als früher. In der Woche vor der Challenge St. Pölten hatte ich so wenig Schlaf wie noch nie. Es ist ja meistens auch ein Teamevent und nicht nur ein Rennen eines einzelnen Sportlers. Da bin ich immer wahnsinnig aufgeregt und hüpfe um die Strecke wie ein Duracell Häschen! Mehr als fünf oder sechs Teamevents im Jahr würde ich so gar nicht packen. Das kostet so viel Energie.
Nimmt dich ein Sieg oder eine Niederlage deiner Athleten auch persönlich mit? Teilst du Freude und Leid?
Ja absolut. Wenn alles super läuft und alle sind happy, ist es natürlich am schönsten aber im Triathlon und insbesondere auf der Langstrecke kann so viel passieren. Und wenn du mit einer großen Gruppe am Start stehst, kann es ja fast gar nicht sein, dass es bei allen gleich gut läuft. Es fällt mir noch sehr schwer, nicht nur nach einem Rennen sondern auch im Alltag am Abend abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Ich habe zu allen einen persönlichen Kontakt und da kann ich nicht einfach sagen, so jetzt ist Feierabend. Mein eigener Whirlpool hilft mir seit neuesten aber ein bisschen dabei.
Wirst du noch von Fans oder Journalisten erkannt, wenn du bei einem Wettkampf mit dabei bist?
Ja natürlich, sie kommen dann und wollen wissen, was ich so mache. Manchmal kann ich mir dann keine oder nur wenig Zeit für sie nehmen, weil ich meine volle Aufmerksamkeit auf meine Sportler richten möchte. Da habe ich dann fast ein bisschen Schuldgefühle. Aber grundsätzlich freue ich mich darüber und sehe es als großes Kompliment.
Mit deinem Karriereende hast du auch deinen Wohnort gewechselt. Siehst du dein ganzes bisheriges Leben ein bisschen auf den Kopf gestellt?
Wir sind schon länger zwischen Leipzig und Vorarlberg hin und her gependelt. Aber in der wettkampflosen Zeit durch Corona wollte Per auch sein eigenes Geld verdienen und hat sehr viel seinem Vater im Fahrradgeschäft geholfen und sich als Erntehelfer auf den Spargelfeldern engagiert. Daher sind wir nur noch in Leipzig geblieben und seine Familie wohnt ohnehin schon da. Wir haben ein tolles Haus und von hier aus kann ich auch schneller zu meinen Eltern, die mittlerweile schon 76 Jahre alt sind. Daher hat sich der Umzug so entwickelt und es machte einfach keinen Sinn mehr, zu pendeln. Dennoch kommen wir immer wieder gern nach Vorarlberg zurück.
Hast du selbst noch sportliche Ambitionen oder ist wirklich Schluss?
Triathlon werde ich sicher nicht mehr machen. Aber ich gehe fast jeden Tag am Vormittag und manchmal auch am Nachmittag Laufen oder ein bisschen Schwimmen. Gern möchte ich im Herbst den Marathon in meiner Heimat in Rotterdam laufen und schauen, was noch in mir steckt.
Wo siehst du dich in 5 Jahren?
Genau da, wo ich jetzt bin. Einfach jeden Tag das Leben genießen!
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Fotos © Marcel Hilger, James Mitchell, Montefuego TV Lanzarote, Skinfit International